porträt

von inge braune
copyright / fotos: thomas siemon, leipzig

die wurzeln des künstlers michael blümel liegen in oberschlesien. der großvater, berichtet der in bad mergentheim aufgewachsene künstler, hätte das zeug zum künstler gehabt. das talent zum zeichen und malen lebte der mann, der im oberschlesischen bergbau als steiger arbeitete, nur als hobby aus. der großvater, der in vielerlei hinsicht vorbild hätte sein können, starb nach ende des 2. weltkriegs in einem russischen lazarett. soldat oder gar ein glühender ns-anhänger, war er nie. seine arbeiten, auf die michael blümel zu gern einmal einen blick geworfen hätte, wurden zerstört.

michael blümel
michael blümel

dass ihr jüngster, jahrgang 1967, das talent geerbt hatte, müssen die eltern früh erkannt haben: so viel papier und stifte hatten die beiden älteren geschwister nicht verbraucht. schon im kindergartenalter füllte er tausende von blättern mit den napoleonischen schlachten. viele menschen: mit ihnen schuf er seine eigenen welten.

blümels lehrern machte die vorliebe für die kunst eher zu schaffen: in seinen mathe-, physik- und chemieheften fanden sie eher selten formeln, dafür um so mehr skizzen, skizzen, skizzen. die musik-, kunst-, deutsch- und geschichtslehrer dagegen konnten nicht klagen: „das waren die schönsten stunden, der rest ein notwendiges übel," erinnert sich blümel.

in mannheim studierte der angehende frei schaffende künstler kunstgeschichte, malerei, bildhauerei. 1991 wechselte er nach freiburg, studierte visuelle kommunikation, grafik-design. die abschlussarbeiten, die blümel hier 1996 vorlegte, überraschten das prüfungsgremium: der grafik-designer legte der kommission suhrkampbände vor, auf den ersten blick im originalzustand. blümel hatte die im verlag erschienenen gesamtwerke von thomas bernhard und peter handke illustriert – auf originalpapier. als er das im schon etwas klapprigen roten 2cv vom verlag holte, ging die ente zwar fast in die knie, aber er hatte den perfekten malgrund für seine unikatbücher mit den perfekt eingepassten illustrationen. die bände bleiben unikate: der verlag ist an die wünsche der autoren gebunden. peter handke steht illustrationen in seinen werken grundsätzlich ablehnend gegenüber, und thomas bernhard hatte sich sogar testamentarisch gegen spätere illustrationen abgesichert.

michael blümel
michael blümel

literatur war immer thema für blümel, sein zugang eher ungewöhnlich: schon als schüler las er am liebsten zuerst die biographien der autoren; wenn die ihn reizten, griff er zu den werken. sein leseschnitt als jugendlicher dürfte bei einer monographie täglich gelegen haben. die leidenschaft für den literarischen ausgangspunkt hat den maler und grafiker bis heute nicht losgelassen. zu e.t.a. hoffmann, mörike, fontane, zu böll, kafka, tucholsky, lasker-schüler sind ebenso weiterhin wachsende bilderserien entstanden wie zu camus, james joyce, sartre, hemingway, neruda. und, und, und. wo die arbeiten nicht literarisch inspiriert sind, liefern politische entwicklungen inspiration. blümels „dummys" sind kritische anmerkungen zur gegenwart: „wir sind dummys und wir werden so behandelt," lautet sein statement. es gibt die wahl-dummys, politiker-dummys, poeten-dummys: das individuum wird herumgeschubst, angekratzt, man lässt es abstürzen, nur, wer sich selbst zum dummy macht, kann mitschwimmen im von zunehmender verdummung geprägten strom der gegenwart. dabei scheint blümel wie besessen von der suche nach dem glaubhaften, authentischen. wo er es findet? in der natur: er ist gern unterwegs im wald; in der literatur, natürlich. erstaunlich oft fand er es während der fünf jahre, die er in leipzig lebte: bei ausstellungen, simultan-illustrationen zu lesungen entdeckte er ein anderes publikum – eins, das hellwach ist, kritisch, nicht einfach etwas nett findet, sondern sich in das werk vertieft, bereit zur auseinandersetzung, auch zur kritik.

das hat er genossen. 2007 kehrte er in die heimatstadt bad mergentheim zurück, wählte bewusst das ländlichere leben, die größere ruhe, die raum für die kreativen eruptionen lässt. blümel ist unglaublich produktiv. den arbeitstag gestaltet er sehr strikt; ab sieben, spätestens halb acht steht er an der staffelei oder erarbeitet illustrationen am computer. während der mittagspause im café füllt er skizzenbücher, am nachmittag und abend geht's weiter. über 40.000 arbeiten hat er bislang geschaffen, in höchst unterschiedlichen techniken. tuschezeichnungen sind eines seiner markenzeichen: für die fließende umsetzung des geistigen prozesses, der keine korrekturen zulässt, begeisterte ihn ein chinesischer dozent. schnell trocknende acrylfarben erlauben ausgeprägte strukturen und fast bildhauerische schichtungen. linol- und holzschnitte stellen den gegenpol zur künstlerischen eruption, fordern eine ganz andere disziplin. mindestens einmal jährlich gibt blümel seiner liebe zur klassischen drucktechnik nach. blümels mischtechniken – tusche und aquarell, wachs und farbe, aquarellierte drucke - sind unverkennbar.

immer wieder erobert er neue arbeitsweisen, derzeit etwa eine tusche-ritztechnik auf metallgrund. galeristin carmen weisshaupt ist hell begeistert von „about kleist". blümel gehört zu den festen galeriekünstlern. fasziniert ist sie auch von den „dummys", denen blümel derzeit auf großen formaten mit acrylpastomasse dreidimensionalität verleiht. die glasartige masse setzt glanzlichter, auch wo blümel sie mit dem fächerpinsel farbig übermalt. da setzt er etwa die „misslungene rede eines poetdummy's während der verleihung eines literaturpreises mit baustelle" ins bild, verleiht er den „ausgemusterten walddummy's mit baustelle und bildstörung" bizarr-irritierendes leben.

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